"Das Geschlecht ist nicht mehr matchentscheidend."

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Gschicht vo hie

"Das Geschlecht ist nicht mehr matchentscheidend."

Sabrina Schlegel ist eine der wenigen BetriebsleiterINNEN in der Landwirtschaft. Seit Roboter einen Grossteil der schweren Arbeit verrichten können, sei das Geschlecht nicht mehr wichtig, sagt sie. Ein Blick hinter die Kulissen ihrer täglichen Arbeit.

Sabrina Schlegel: zur Person

  • Studierte Agronomin.
  • Leitet mit ihrem Mann den Grundhof in Bözberg (AG).
  • Erste Frau im Vorstand des Verbands Schweizer Milchproduzenten (SMP).
  • Präsidentin des Vereins Mittelland Milch.
  • Vorstandsmitglied des Vereins Holstein Aargau.

Weibliche Führung statt verstaubte Rollenbilder

In die Wiege gelegt wurde Sabrina Schlegel die Landwirtschaft nicht. Sie ist zwar auf dem Land aufgewachsen, aber nicht in einer Bauernfamilie. Ihr Vater leitet einen Grossbetrieb, ihre Mutter führt ein Berghotel. Und wäre es nach ihnen gegangen, hätte ihre Tochter Karriere als Juristin gemacht. Stattdessen leitet Sabrina Schlegel gemeinsam mit ihrem Mann den Grundhof im aargauischen Bözberg mit 95 Hektaren, 130 Milchkühen und 120 Iberico-Schweinen. Bis hierhin brauchte es einen Kindheitstraum, ein Agronomiestudium an der ETH und eine grosse Portion Glück.

Hofträume für Kinder erfüllen

"Dass wir die Leitung des Grundhofs übernehmen durften, war eine einmalige Gelegenheit", sagt Schlegel. Der Agrarbetrieb gehört der Otto Suhner AG und wurde in den 1960ern vom damaligen Patron gegründet, um die Ernährung der Mitarbeitenden sicherzustellen. 2016 holte man Schlegel und ihren Mann auf den Hof. Sie war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger mit dem ersten Kind.

"Es macht mich glücklich, dass unsere Kinder auf einem Hof aufwachsen können – das wäre auch mein Traum gewesen", sagt Schlegel. Ihr Sohn ist heute 6 Jahre alt und die Zwillingsmädchen 4 Jahre. "Klar hätten wir gerne einen Hof, der uns gehört. Aber das ist fast unmöglich: Auch auf eine Pacht bewerben sich heute jeweils mehrere Dutzend Landwirtinnen und Landwirte."

Auf modernen Agrarbetrieben übernehmen Maschinen viele Arbeiten.

Auf modernen Agrarbetrieben übernehmen Maschinen viele Arbeiten.

Nur wenige Landwirtinnen leiten einen Betrieb.

"Quereinsteiger:innen" sind in der Landwirtschaft selten. Noch seltener sind Frauen, die einen Betrieb leiten. Laut Zahlen des Bundes haben nur etwa 6,5% der Frauen in der Landwirtschaft eine Führungsposition. Frauen helfen zwar tatkräftig mit, doch nur wenige Landwirte überlassen den Familienbetrieb der Tochter. Verstaubte Rollenbilder, denn: "Das Geschlecht ist nicht mehr matchentscheidend", sagt Schlegel. Heute übernehmen Maschinen viele schwere Arbeiten. Und auch das Melken und die Futterversorgung der Kühe besorgen Roboter. Ganz alles geschieht aber nicht maschinell. Der Betrieb zählt vier Mitarbeitende und einen Lernenden, nächstes Jahr kommt noch eine Lehrtochter dazu. "Durchmischung ist mir wichtig", sagt Schlegel. "Denn unterschiedliche Perspektiven führen zu besseren Resultaten."

Vorm Computer: Hier trifft man Sabrina Schlegel oft.

Vorm Computer: Hier trifft man Sabrina Schlegel oft.

Bäuerinnen und Bauern am Bildschirm

Roboter und Maschinen sparen Kraft und Zeit. So verlagert sich Schlegels Arbeit mehr und mehr an den Bildschirm. Fünf Stück stehen in ihrem Büro mit Blick in den Stall. Auf zwei Screens kontrolliert sie die Milchanalysen der Melkroboter: Hat eine Kuh zu hohe Entzündungswerte? Frisst sie weniger als üblich? Ging die Kuh heute schon Melken?

Drei Bildschirme sind für Lohnabrechnungen, Direktzahlungen oder Futterpläne. Auch die ständige Verbesserung der Arbeitsabläufe (Standard Operation Procedures) für alle Mitarbeitenden gehört dazu. Wie in der Industrie lebt man auf dem Grundhof die Lean-Management-Kultur. Bei dieser sind sämtliche Arbeitsschritte für bestmögliche Effizienz vorgegeben. "Etwa 70 % meiner Arbeit findet an Computer und Handy statt", sagt Schlegel. "Das hat mich anfangs schon etwas überrascht."

Mein Mann hält mir den Rücken frei.

Sabrina Schlegel, Betriebsleiterin Grundhof

Viele Landwirtinnen sind schlecht abgesichert.

Das Angestelltenverhältnis hat Vorteile: fixes Pensum, garantierter Lohn, bezahlte Ferien und eine geregelte Altersvorsorge. Diese Dinge sind bei Landwirtinnen, die auf dem Hof ihres Mannes arbeiten, oft ein Problem: Wer die Anstellung nicht vertraglich regelt und einen eigenen Lohn einfordert, steht bei einer Scheidung oder im Alter schlecht da. Ein Missstand, findet Schlegel: "Wer arbeitet, auch im Haushalt und in der Kindererziehung, sollte einen Lohn erhalten. Und das gilt nicht nur für die Landwirtschaft." Schlegel ist vielseitig engagiert – als erste Frau im Vorstand des Verbands Schweizer Milchproduzenten (SMP), als Präsidentin des Vereins Mittelland Milch und als Vorstandsmitglied des Vereins Holstein Aargau. Wie schafft sie das alles? "Mein Mann hält mir den Rücken frei", sagt sie. "Der Kontakt mit Menschen ausserhalb des Betriebs ist sehr bereichernd. Es ist mir deshalb wichtig, meinen Hof-Horizont regelmässig zu erweitern."

Auch Teil der Arbeit: Fütterung und Herdenmanagement
Auch Teil der Arbeit: Fütterung und Herdenmanagement

Grundhof Bözberg

Die 130 Milchkühe auf dem Grundhof geben jeden Tag rund 4'000 Liter Milch. Partnerin Emmi holt die Rohmilch jeden zweiten Tag ab. Ein kleiner Teil davon wird als Joghurt direkt im Hofladen verkauft. Neben Milchkühen hält das Betriebsleiterpaar Sabrina Schlegel und Yannick Decrausaz auch als einzige Landwirte in der Schweiz Iberische Schweine. Der Grundhof legt viel Wert auf Nachhaltigkeit: Rund ein Viertel der Fläche steht der Biodiversität zur Verfügung. Kleinstrukturen wie Stein-, Ast- und Sandhaufen sowie Bienenhotels und offener Boden bieten vielen Insekten und anderen Wildtieren Unterschlupf. Spezielle Gummimatten im Stall sowie Futterzusätze sollen ausserdem Ammoniakemissionen und Methanausstoss durch die Kühe vermindern. Auf dem Dach befinden sich zudem 1'300 Quadratmeter Solarzellen, deren Energie ins Netz eingespeist wird. Der Hof darf im Rahmen des Projekts Stallvisite jederzeit besucht werden.

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