
Alpziger: Die Letzten ihres Fachs

Alpziger: Die Letzten ihres Fachs
Eine imposante Kulisse
Jeder Heidi-Film, mag er auch noch so kitschig sein, kommt nicht annähernd an das heran, was die Besucher auf der Alp Obersee-Rauti oberhalb von Näfels erleben. Inmitten einer saftig-grünen Bergwiese voller Kräuter stehen in Reih und Glied die Kühe, die von Myrtha und Siegfried Fischli-Good unter freiem Himmel gemolken werden. Im Hintergrund eine imposante Felskulisse unter einem stahlblauen Himmel. Willkommen in der Natur. Zu hören sind die frisch sprudelnden Bergbäche rundherum, das Summen der Insekten und der knatternde, etwas in die Jahre gekommene Generator, der die Melkmaschine antreibt.

Die Kühe vor der imposanten Felskulisse (Fotos: Karl-Heinz Hug)
Selbstvermarktung seit 2016
Pro Saison stellen Myrtha und Siegfried gegen eine Tonne Alpziger her, den sie in zwei grossen Holzfässern nach und nach befüllen. Sie sind die Letzten ihres Fachs – früher lieferten viele Alpen ihren Ziger an die Geska AG, die im Tal unten den Schabziger herstellt. Der Personalmangel auf den Alpen sowie gestiegene Anforderungen seitens des Verarbeiters führten dazu, dass heute der "normale" Schabziger ohne Rohziger von der Alp produziert wird. "Wir waren die Letzten, aber 2015 war dann auch bei uns Schluss", sagt Myrtha Fischli. "Unser Produkt ist halt vom Wetter, vom Futter und anderen Faktoren abhängig, deshalb ist es nicht möglich, immer genau den gleichen Ziger herzustellen. Mal ist er ein bisschen so, mal ein wenig anders, aber immer ein Naturprodukt." Seit 2016 vermarktet der Familienbetrieb deshalb sein Produkt selbst. Statt Schabziger heisst er bei den Fischlis Alpziger.

Holzfass befüllt mit Ziger
Unser Produkt ist halt vom Wetter, vom Futter und anderen Faktoren abhängig, deshalb ist es nicht möglich, immer genau den gleichen Ziger herzustellen.
Alpziger selbst verkaufen
Und so verkauft Myrtha Fischli im Herbst und Winter ihren Alpziger eigenhändig, liefert ihn an verschiedene Läden, Milchzentralen, Käsereien, Restaurants und Privatpersonen. Bis im Sommer des folgenden Jahres sind ihre Produkte jeweils ausverkauft. Reich werde man nicht davon, sagt Siegfried Fischli. Bereits in vierter Generation stellen die Fischlis Alpziger her, vielleicht übernimmt dereinst der Sohn das Ziger-Handwerk, sicher ist dies aber noch nicht. Das Leben auf der Alp ist nicht jedermanns Sache. Hört man sich den Tagesablauf an, wird klar warum: Um fünf Uhr aufstehen, die Kühe zusammentreiben, melken, die Milch zentrifugieren, zigern, den Rahm pasteurisieren und Butter herstellen, alles putzen, verpacken. Um 11 Uhr kommen die Rinder dran bis zum Mittagessen. Auf die Frage, wer bei ihnen kocht, lachen beide. "Wir haben kaum Zeit, etwas Aufwendiges zuzubereiten", sagt Myrtha. "Das Essen kommt etwas zu kurz hier oben", gibt sie zu.

Myrtha und Siegfried Fischli beim Melken ihrer Kühe
Das Essen kommt etwas zu kurz hier oben.
Sehr lange Arbeitstage
Siesta am Nachmittag? Beide lachen laut heraus. "Schön wärs", sagen beide. Je nach Wetter fahren sie zu ihrem Hof runter zum Heuen oder sie bleiben auf der Alp und zäunen oder pflegen die Weiden. Um 17 Uhr beginnt das Gleiche wie am Morgen, melken, zigern und so weiter. Das dauert, von einem kurzen Imbiss unterbrochen, meist bis zehn Uhr abends. Macht dieser strenge Alltag Spass? Myrtha Fischli zuckt mit den Schultern. "Wenn dir dieses Leben nicht gefällt, hältst du das nicht lange aus."
Inzwischen ist es Abend geworden und Siegfried zentrifugiert die Milch mit einer kleinen Maschine, Baujahr 1940. Dann macht er unter dem Kupferkessel das Feuer an – ohne Papier versteht sich – und beginnt, die frische, entrahmte Milch auf rund 90 Grad zu erhitzen. Das Zigern findet in der Alpküche statt, ab und zu essen die beide ein paar Happen ihres Birchermüeslis. "Das ist ein uraltes Handwerk, das kaum noch jemand so betreibt", erzählt der Bauer. In mehreren "Etschertansen" kultiviert er die Milchsäurekultur, den Etscher, den er später langsam einrührt und mithilfe dessen die Milch in Ziger scheidet, der das ganze Eiweiss enthält. Einen Teil der Schotte mischt er dann wieder in das Etschergemisch. Ein wichtiger Vorgang, meint der Fachmann. "Der Säuregrad muss stimmen, damit der Ziger richtig gut wird."


Das ist ein uraltes Handwerk, das kaum noch jemand so betreibt.
Von der Gebse ins Holzfass
Schliesslich kommt der Ziger in eine Gebse, ein flaches Gefäss aus Holz, in der der Rest der Schotte entweichen kann. Später gelangt der Frischziger in eines der beiden grossen Holzfässer. Sechs bis acht Wochen lagert der Ziger hier drin und wird kontinuierlich und permanent gepresst. Das Gespür für den richtigen Reifegrad müsse man im Blut haben, meint Siegfried mit einem Grinsen im Gesicht. Wenn es so weit ist, wird die Masse mit einer grossen Gabel herausgestochen, gerieben, gesalzen und mit dem Bockshornklee gewürzt, das dem Produkt seinen typischen Geschmack verleiht.
Für neugierige Geschmacksnerven
Der grosse Moment ist gekommen: Ich darf den Alpziger, gerade noch zwei Portionen sind vom letzten Sommer übrig, degustieren. Vor mir die abendliche Bergkulisse der Glarner Alpen, in meinem Mund ein Geschmack, den man nicht alle Tage bekommt. So würzig-pikant, dass es ohne eine Zutat fast zu viel des Guten ist. "Zu Fondue oder Raclette oder als Parmesanersatz auf einem Pastateller schmeckt er wunderbar", meint Myrtha. Ziger ist Geschmackssache, die einen mögen ihn, andere weniger. Mir schmeckts, definitiv etwas, das Menschen mit neugierigen Geschmacksnerven unbedingt probieren müssen!

Der Moment ist gekommen – die Ziger-Degustation.
Käse mit langer Tradition
Den Glarner Alpziger gibt es seit über tausend Jahren. Weil der Glarner Magerkäse den Säckinger Stiftsdamen – das Glarnerland stand bis 1395 im Besitz des Klosters Säckingen – offenbar zu fade war, würzten sie ihn mit Hornklee, einem stark duftenden Kraut aus dem Klostergarten. Allerdings wurde diese Geschichte vom Historiker Beat Frei widerlegt, gemäss seinen Forschungen sollen die Zürcher am Erfolg des Schabzigers beteiligt gewesen sein.
Wie auch immer: Der Schabziger ist ein traditionsreicher Glarner Käse und gilt als eine der ältesten Marken der Welt. Bereits 1463 wurde der Schabziger durch eine Zigerordnung geschützt, die vorschrieb, wie er hergestellt und gekennzeichnet werden musste. Auch heute noch wird der Schabziger ausschliesslich im Glarnerland hergestellt, was ihm eine geschützte Ursprungsbezeichnung verleiht. Schabziger wird oft gerieben verwendet – etwa zum Würzen von Pasta, Brot, Rösti, Fondue oder Raclette – und erfreut sich besonders bei Liebhabern kräftiger Käsesorten grosser Beliebtheit.
