
Mit Herz und Doppelmeter – Tierschutz auf dem Bauernhof

Mit Herz und Doppelmeter – Tierschutz auf dem Bauernhof
Jeder Millimeter zählt
Im hellen Laufstall des Strickhofs im zürcherischen Lindau schlendern manche Kühe gemächlich herum, andere haben es sich in den Liegeboxen bequem gemacht. Der Strickhof ist ein Ausbildungs- und Versuchsbetrieb des Kantons Zürich – hier dreht sich alles um Landwirtschaft, Ernährung und Tierhaltung. Mittendrin: Anita Müller. Die 29-jährige Agronomin ist Beraterin für Stallbau und Mutterkuhhaltung. Und sie weiss über die Vorgaben im Schweizerischen Tierschutz genau Bescheid.
"Tiere haben mich immer schon fasziniert", erzählt Anita, während sie prüfend über die Boxen schaut. Sie ist selber auf einem Bauernhof aufgewachsen. Heute hilft sie Landwirtinnen und Landwirten, ihre Ställe tierschutzgerecht zu gestalten. Sie zeigt auf eine Liegebox: "Die Masse müssen millimetergenau stimmen – selbst kleinste Abweichungen sind nicht erlaubt." Wenn etwa rostige Bügel ersetzt werden und die neuen ein paar Millimeter dicker sind, stimmen die Masse nicht mehr. "Dann werde ich um Rat gefragt", erklärt sie.
Die Masse müssen millimetergenau stimmen – selbst kleinste Abweichungen sind nicht erlaubt.


Schweizer Tierschutzgesetz
Das Schweizer Tierschutzgesetz schützt seit 2005 das Wohl und die Würde der Tiere. Die Tierschutzverordnung von 2008 konkretisiert die Mindestanforderungen zur Haltung und Nutzung. Weitere Details stehen in der Nutz- und Haustierverordnung. Zusätzlich erlassen die Kantone eigene Vorschriften. Alle diese Regeln sind Mindestanforderungen – wer Tiere hält, muss sie einhalten. Die Schweiz zählt beim Tierschutz zu den strengsten Ländern weltweit.

Anita ist Beraterin für Stallbau und Mutterkuhhaltung.
Tierwohl gut, alles gut
Der Tierschutz unterscheidet zwischen baulichen und qualitativen Anforderungen – beide haben das Tierwohl im Fokus, setzen aber an unterschiedlichen Stellen an. Der bauliche Tierschutz schreibt sämtliche Abmessungen im Stall vor – etwa für Fressplätze, Durchgänge und Liegeboxen. "Das ist mein Spezialgebiet", sagt Anita. Der qualitative Tierschutz beurteilt hingegen das tatsächliche Wohlergehen der Tiere: Sind die Tiere sauber, gesund und gut mit Luft, Wasser und Licht versorgt? "Um das zu beurteilen, braucht es kein Massband, sondern Erfahrung und Augenmass."
Für das Wohl der Tiere ist im Stall des Strickhofs vorbildlich gesorgt: Ein Mistroboter summt durch die Gänge und reinigt sie – er schiebt den Mist durch den Spaltenboden ins Gülleloch. Die Liegeboxen sind dick eingestreut. Das Fell der Tiere glänzt sauber. "Bei guter Pflege und Hygiene sind sie gesünder, davon profitieren alle", sagt Anita zwischen lauten Muh-Rufen. "Wer seine Tiere gut pflegt, hat weniger Tierarztkosten, mehr Milchleistung – und mehr Freude an der Arbeit." Die allermeisten Landwirte sehen das ebenso. Tierschutzverstössen begegnet Anita selten: "Fast alle machen es gut", weiss sie aus Erfahrung.



Was bedeutet «besonders tierfreundlich»?

Der Mistroboter sorgt für Sauberkeit im Stall.
Tierschutz auf dem Prüfstand
Um sicherzustellen, dass die gesetzlichen Mindestanforderungen im Tierschutz eingehalten werden, kontrollieren die kantonalen Veterinärämter alle Betriebe ab einer gewissen Grösse mindestens alle vier Jahre. "Wenn Mängel festgestellt werden oder es Veränderungen gibt auf dem Hof, kommen sie häufiger vorbei", sagt Anita. Zu solchen Veränderungen zählen etwa Umbauten – "die sind knifflig", meint sie. "Einen Neubau nach den Normen zu errichten ist einfacher, als ein altes Gebäude tierschutzkonform umzubauen."
Werden bei einer Tierschutzkontrolle ungenügende Masse festgestellt, gibt es für den Landwirt je nach Situation mehrere Möglichkeiten: den Tierbestand reduzieren, auf eine kleinere Rinderrasse umsteigen oder baulich nachrüsten. Auch solche Fälle landen regelmässig auf Anitas Tisch.
Um das Wohl der Tiere zu beurteilen, braucht es kein Massband, sondern Erfahrung und Augenmass.


Mit gutem Beispiel voran
Während beim baulichen Tierschutz das Metermass für Klarheit sorgt, ist beim qualitativen die Beurteilung schwieriger. "Da gibt es mehr Interpretationsspielraum", erklärt Anita – da stupst sie eine braune Kuh von hinten sanft an. "Na, Grazia, brauchst Du ein bisschen Aufmerksamkeit?" Sie krault das Tier liebevoll. "Kühe sind Weidetiere. Ein Stall kann ihre Bedürfnisse nie zu hundert Prozent erfüllen – aber wir können versuchen, so nah wie möglich ranzukommen."
Genau dieses Ziel verfolgt das Tierschutzgesetz – und Anita auf ihrem eigenen Betrieb: Seit 2023 führt sie mit ihrem Mann einen Hof im Aargau. Den Stall haben sie selbst umgebaut. "Als die erste Kontrolle anstand, war ich nervös", erinnert sie sich. "Ich wollte alles perfekt haben." Also mass sie doppelt aus. Mit Erfolg: Alles stimmte. "Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich meine Berufswahl wohl überdenken müssen", sagt sie und lacht.

Strenge Gesetze zum Wohl unserer Kühe

Anita liegt das Wohl der Tiere am Herzen.
Tierschutzkontrollen
Alle vier Jahre prüfen die kantonalen Veterinärämter routinemässig, ob die landwirtschaftlichen Tierhaltungen ab einer gewissen Grösse die gesetzlichen Tierschutzvorgaben einhalten – angemeldet oder unangemeldet. Weil die grosse Mehrheit der Höfe die Mindestanforderungen erfüllt, bleibt es oft bei dieser Grundkontrolle. Werden jedoch Mängel festgestellt oder verändert sich etwas auf dem Betrieb – etwa durch einen Stallumbau –, folgen zusätzliche Inspektionen. Stellen die Behörden Mängel fest, muss der Betrieb innert Frist nachbessern. Jeder Tierschutzverstoss kann Kürzungen bei den kantonalen Direktzahlungen zur Folge haben.
