
Eine Hofübernahme "nah dis nah"

Eine Hofübernahme "nah dis nah"
Aufwachsen auf dem Bauernhof
Fritz Balsiger sitzt in einer Kammer und schaut konzentriert auf einen Bildschirm. "Hier siehst du, ob eine Kuh Fieber hat oder nicht fertig gemolken wurde", erklärt er seinem Enkel Elio, den er in seinem Arm hält. Doch geduldig auf Zahlen und Diagramme zu blicken, ist nichts für den einjährigen Bauernhofbuben. Er streckt die Hand nach der Computermaus aus. "Nein, dein Papa kann das besser. Komm, wir schauen mal, wo er ist", sagt Fritz und greift zum Telefon.


Lange Familiengeschichte
Der 63-jährige Fritz führt seit 1986 einen Bauernhof am Südhang des Berner Belpbergs. Schon seine Vorfahren haben das Land bewirtschaftet: Die Geschichte des Hofs reicht bis ins Jahr 1917 zurück. Heute umfasst der Betrieb eine Fläche von 28 Hektaren und ist damit etwas grösser als der Schweizer Durchschnittsbetrieb. Hier leben 50 Milchkühe und 8'500 Masthühner. Die Milch geht an eine Käserei in der nahe gelegenen Gemeinde Gerzensee, das Poulet an die Migrostochter Micarna.


Zwischen Vater und Sohn
Vor acht Jahren hat Fritz die nächste Generation mit an Bord geholt: seinen Sohn Michael, der ebenfalls hier am Nordhang des Aaretals aufgewachsen ist. Das Besondere: Es gab keine eigentliche Betriebsübergabe, keinen Verkauf, keine Verpachtung. Die beiden führen den Hof als Generationengemeinschaft.
Was ist eine Generationengemeinschaft?
Bei einer Generationengemeinschaft in der Landwirtschaft leiten Junior- und Seniorpartner:in, zum Beispiel Vater und Sohn, gemeinsam einen Betrieb. Eigentum, Arbeit, Gewinn, Verlust, Risiko oder Haftung: Alles wird geteilt. Das Ziel ist eine schrittweise und stabile Hofübergabe. Für Martin Goldenberger, Spezialist für Agrarrecht beim Kompetenzzentrum Agriexpert, ist dieses Modell ideal, um sich harmonisch auf eine Übergabe vorzubereiten. "Die Jüngeren lernen, Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. Die Älteren lernen, Verantwortung abzugeben und der Nachfolge zu vertrauen." So profitieren beide Seiten von der gemeinsamen Arbeit, die oft mit Modernisierungen einhergeht. Eine Generationengemeinschaft funktioniert allerdings nur, wenn sich die beiden Parteien gut verstehen und der Betrieb genug für beide abwirft. Landwirtinnen und Landwirten, die sich diese Form grundsätzlich vorstellen können, empfiehlt der Experte eine professionelle Beratung, um Vorstellungen zu klären und Unsicherheiten auszuräumen.
Vom Metallbauer zum Landwirt
Michael Balsiger, der Juniorpartner auf dem Hof am Belpberg, ist 34 Jahre alt und hat ursprünglich Metallbauer gelernt. Landwirt wurde er erst auf dem zweiten Bildungsweg. Als sein Vater ihn anruft, schaut er gerade nach den Hühnern. "An manchen Tagen telefonieren wir zehnmal miteinander", erzählt der junge Mann schmunzelnd. Dies, obwohl das Gelände eigentlich recht überschaubar ist. Der telefonische Daueraustausch hat aber einen Grund: Die beiden Landwirte kümmern sich um alles gemeinsam. Jeder soll jeden Bereich des Hofs ganz genau kennen. Liegt der Vater mit Grippe im Bett, kann der Sohn ihn vertreten – und umgekehrt. Und gleichzeitig können sie so am besten voneinander lernen.
An manchen Tagen telefonieren mein Vater und ich zehnmal miteinander.


Übergabe Schritt für Schritt
Eine gewisse Arbeitsteilung hat sich über die Jahre trotzdem herausgebildet: "Michael ist der Manager", sagt Fritz, als die beiden später bei Kaffee und Schokoladenkuchen am Küchentisch sitzen. Er kümmere sich um die ganze administrative Arbeit. "Früher war das aber ganz anders", widerspricht Michael. "Der Übergang war nah dis nah." Neben seiner Arbeit auf dem Hof arbeitet Michael noch Teilzeit als Treuhänder. Zudem schaut er gemeinsam mit seiner Frau Christine zu den Kindern. Und das gibt viel zu tun, denn vor wenigen Wochen hat Elio ein Schwesterchen erhalten: Noemi. Umso besser, dass die Grosseltern im selben Haus wohnen.

Die Familie Balsiger: Michael, Elio, Christine, Noemi und Fritz.
Finale Übergabe rückt näher
Die Zeit als Generationengemeinschaft ist in der Regel begrenzt. Auch bei Fritz und Michael neigt sie sich langsam dem Ende zu. Im kommenden Jahr wird Michael den Hof allein übernehmen. Fritz ist dann offiziell pensioniert, wird aber weiterhin auf dem Grundstück leben. Am Alltag soll sich vorerst also nicht viel ändern. Bei Familie Balsiger beginnt ein normaler Tag um 5 Uhr morgens. Dann heisst es für Vater und Sohn mindestens zwei Stunden Stallarbeit. Sie mischen Futter, verteilen es in die Krippe und schauen, dass alles sauber ist. Dann geht es weiter zum Prüfen der Biogasanlage: Stimmt die Mist-Mischung? Funktioniert alles mit der Gärung?


Roboter helfen mit.
Bei ihrer Arbeit werden sie von zahlreichen technischen Helfern unterstützt: Roboter übernehmen das Melken der Kühe und das Einsammeln von Mist, Sensoren überwachen Luftqualität und Futterstand in der Hühnerhalle. "Tagsüber kann ich alles auf meinem Handy verfolgen", sagt Michael. Die Modernisierungen sind ein Produkt der Generationengemeinschaft, Vater und Sohn haben sie gemeinsam umgesetzt. Genauso wie den Bau eines neuen Kuhstalls und einer Biogasanlage – die gleich auch noch die Hühnerhalle beheizt. "Alles ist ein Kreislauf", sagt Michael. Fritz lächelt stolz.
Alles ist ein Kreislauf.
Vier Augen sehen mehr als zwei.
Gibt es bei so enger Zusammenarbeit auch Konflikte? Michael und Fritz schauen sich an. "Eigentlich fast nicht", sagt Fritz. "Denn wir ticken im Grossen und Ganzen gleich." Natürlich gebe es manchmal verschiedene Meinungen oder ihnen falle Unterschiedliches auf. "Vier Augen sehen mehr als zwei", bekräftigt Michael. Aber genau deshalb ergänzen sie sich so gut. Der Ältere bringt fast 40 Jahre Erfahrung mit, der Jüngere frische Ideen.
Konfliktherd Hofübergabe
Bei Hofübergaben sind Konflikte keine Seltenheit. Häufig scheitert die Nachfolge nicht an fehlendem Interesse, sondern an unüberwindbaren Standpunkten. So können zum Beispiel unterschiedliche Ansichten bezüglich Anbauweise und Betriebsführung spalten. Oder auch Erwartungen zur Kapitalteilung und zum Wohnrecht. "Bei einer Hofübergabe können heftige Widerstände auftreten", sagt Simon Jöhr, Berater für Hofübergaben beim Bildungs-, Beratungs- und Tagungszentrum Inforama. Im Extremfall helfe nur, dass die ältere Generation vom Hof wegzieht. Gleichzeitig geht es den ehemaligen Besitzern in der Regel darum, die Identität ihres Lebenswerks zu erhalten – ein durchaus verständlicher Wunsch. Die gute Nachricht: Trotz des riesigen Konfliktpotenzials lassen sich Differenzen mit professioneller Begleitung oft überwinden. "Am Schluss ist die ältere Generation meist stolz", erzählt Jöhr. Auch hier gilt: Eine Beratung oder eine Mediation können bei Konflikten Wunder wirken.
Der Jüngste kehrt zurück.
Dass die Hofübergabe bei Familie Balsiger geglückt ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Lange sah es denn auch nicht danach aus: Michaels ältere Geschwister wollten den väterlichen Hof nicht übernehmen. Damit sind sie nicht allein. Viele Menschen wünschen sich geregelte Arbeitszeiten und einen festen monatlichen Lohn. Das gibt es bei einem eigenen Betrieb nicht. "Man macht das nur, wenn man wirklich dafür brennt", sagt Michael – und erklärt damit auch, warum er sich als Jüngster dann doch für die Hofübernahme entschieden hat.


Mehr als 17'000 Betriebsleiter auf der Suche
Im Jahr 2023 waren laut Bundesamt für Statistik mehr als 17'000 Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter in der Landwirtschaft über 50 Jahre alt. Bei vielen wird sich der Fortbestand ihres Hofs in den kommenden Jahren entscheiden. Weil auch Michael zuerst einen anderen Weg eingeschlagen hatte, wusste Fritz zunächst nicht, ob sein Betrieb überleben würde. Daher hatte er einige Jahre lang nicht mehr gross ausgebaut. Im alten Stall war Platz für 26 Kühe. Notfalls wäre es dabei geblieben.
Jetzt gehts nur noch vorwärts.
Der Weg in die Zukunft
Nun, da Michael auf den Hof zurückgekehrt ist, konnten sie in die Zukunft des Familienbetriebs investieren. "Jetzt gehts nur noch vorwärts", sagt Fritz. Während die beiden am Küchentisch erzählen, kommt Michaels Frau Christine herein, mit Elio und der kleinen Noemi in den Armen. Elio klettert sogleich auf Michaels Schoss und pflügt mit einem Plastiktraktor über den Tisch. "Es ist schön, dass die Kinder hier aufwachsen können", sagt Michael. Mit den Tieren und der Natur – so wie er selbst.

Elio ist ganz Bauernhofbub – auch beim Spielen.
