Unterwegs mit dem Kuhflüsterer

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Unterwegs mit dem Kuhflüsterer

Glückliche Kühe – glückliche Bauern, nach diesem Grundsatz arbeitet Christian Manser. Um zu erkennen, wie es den Tieren geht, liest er ihre Signale. Und berät so Landwirte bei der Kuhhaltung.

"Aufmerksamkeit ist ein gutes Zeichen"

Als ich den Stall betrete, schauen mich zig Kühe an. Sie liegen gemächlich wiederkäuend in ihren Boxen oder stehen am Melkroboter Schlange. Die einen wenden ihren Blick rasch wieder ab, die anderen sind neugieriger und strecken mir bald ihre Köpfe entgegen: feuchte Schnauzen und warmer Atem an meinen Händen. "Aufmerksamkeit ist ein gutes Zeichen", sagt Christian Manser. "Es spricht für zufriedene, gesunde Kühe."

Manser ist Kuhsignal-Trainer. Er liest aus dem Verhalten, dem Aussehen und der Körpersprache der Tiere, wie es ihnen geht. "Zum Beispiel deutet das struppige Fell dieser Kuh auf Energie- oder Mineralstoffmangel hin", erklärt mir der 52-Jährige. "Immerhin lässt sie die Ohren nicht hängen und ist grundsätzlich guter Dinge." Peter Schlauri gesellt sich zu uns und bekräftigt Mansers Theorie: "Britania ist erst drei Tage hier auf dem Espelhof", sagt der Landwirt aus Gossau (SG), "davor war sie auf der Alp und hatte es wohl streng."

Christian Manser und Britania (hier schon wieder fit)

Christian Manser und Britania (hier schon wieder fit)

Ein Aha-Erlebnis

Christian Manser arbeitet seit 25 Jahren mit Kühen. Seit elf Jahren intensiv mit Kuhsignalen. Die Methode basiert auf dem Grundsatz "Glückliche Kühe – glückliche Bauern" und wurde von Tierärzten in Holland entwickelt. Manser eröffnete die Methode eine neue Welt. "Nach dem ersten Workshop der Holländer habe ich kaum fassen können, wie wenig ich bislang auf Kuhsignale geachtet hatte", erinnert sich der Agronom.

Kuhsignale – ein paar Beispiele

"Kühe liefern positive wie auch kritische Signale", sagt Christian Manser. Hier ein paar Beispiele aus seinen Beratungsunterlagen:

Positive Signale

  • Wiederkäuen: Gesunde Kühe käuen pro Tag 430 bis 550 Minuten wieder. Ist das anders, stimmt das Futter nicht.
  • Entspannte Atmung: Geht es Kühen gut, atmen sie 10 bis 30 Mal pro Minute ein und aus. Eine höhere Frequenz deutet etwa auf Schmerzen hin.
  • Glänzendes, dicht anliegendes Fell: ein zuverlässiges Anzeichen für die Gesundheit der Tiere.

Kritische Signale:

  • Krummer Rücken: ein Anzeichen dafür, dass die Kuh lahmt oder Schmerzen im Verdauungstrakt hat.
  • Weggedrückter/angezogener Schwanz: Dies deutet auf Schmerzen hin.
  • Verletzungen am Widerrist (Übergang vom Hals zum Rücken): Quetschungen oder Schürfungen entstehen etwa durch zu niedrige Fressgitter.

Bedürfnis: mehr Fressplätze

Heute sind Kuhsignale für Mansers Arbeit zentral. Für das Landwirtschaftliche Zentrum St. Gallen berät er Landwirte bei der Rindviehhaltung. Auch hier auf dem Espelhof. Bei früheren Besuchen hat er den Kühen angemerkt, dass sie mehr Fressplätze schätzen würden. "Das hat sich durch gelegentliches Gerangel an den Futterstellen gezeigt", erklärt er. Schwächere oder neue Tiere wie zum Beispiel Britania bräuchten genügend Ausweichmöglichkeiten. "Sonst wirken sie auf andere Kühe dominant und es kommt ungewollt zu Konflikten."

Peter Schlauri, Landwirt aus Leidenschaft

Peter Schlauri, Landwirt aus Leidenschaft

Tierwohl

Schweizer Bauern sorgen sich um ihre Kühe.

Genug frische Luft

Für die zusätzlichen Futterstellen hat der Kuh-Experte den Vorhof des Stalls im Auge. Dieser wurde einmal gebaut, um den Kühen das Luftschnappen im Freien zu ermöglichen. Als wir den Platz betreten, ist er allerdings leer; auch wenn er für die Tiere vom Stall aus problemlos erreichbar wäre. Manser freuts: "Das bedeutet nämlich, dass es im Stall genug frische Luft gibt und die Kühe sich dafür nicht die Beine in den Bauch stehen müssen."

Tierwohl

So sieht der Speiseplan einer Milchkuh aus.

Als Kuhsignal-Trainer kann ich wirklich etwas für Tiere und Landwirte bewirken, das macht grosse Freude.

Christian Manser, Agronom und Kuhsignal-Trainer

"Der Stall ist der wichtigste Ort"

Kühe ruhen 12 bis 14 Stunden am Tag. "Tun sie das nicht, stimmen die Bedingungen im Stall nicht", erklärt Manser. Zwar haben etwa die Kühe von Peter Schlauri auch freien Zugang zur Weide. Doch diese ist in unseren Breitengraden nicht immer die erste Wahl – etwa wegen Regen oder zu viel Sonne. "Der Stall ist für Kühe der wichtigste Ort", sagt Manser und holt die Vorzüge der Weide unters Stalldach. Das bedeutet: Er achtet auf reichlich Platz, Licht und Luft, das richtige Futter, sauberes Wasser und bequeme Liegeflächen.

Manser holt die Vorzüge der Weide unters Stalldach
Manser holt die Vorzüge der Weide unters Stalldach
Tierwohl

So tierfreundlich ist die Milchkuhhaltung in der Schweiz.

Sonnenbaden in der Liegebox

Auf dem Espelhof hat der "Kuhflüsterer" seine Arbeit bereits grösstenteils getan – beim Stallneubau im Jahr 2013. Damals begann die Zusammenarbeit von Milchbauer Schlauri und Agronom Manser. Der neue Stall kann zum Beispiel rundherum geöffnet werden. Für zusätzliche Abkühlung sorgt in den Sommermonaten ein Ventilator – Kühen ist es schnell zu heiss. Im Winter hingegen legen sie sich gerne in die Sonne, die ihnen dank der Ausrichtung des Stalls direkt in den Liegebereich scheint.

Damit nicht genug: Die Gänge im Espelhof-Stall sind extrabreit, die Liegeboxen extragross. Manser: "Je nach Box empfehle ich 25 bis 60 Zentimeter mehr Länge als gesetzlich vorgeschrieben." So hätten die Kühe, die ja nicht nur nebeneinander, sondern auch Kopf an Kopf liegen, mehr Privatsphäre.

Mansers Empfehlung: extralange Liegeboxen

Mansers Empfehlung: extralange Liegeboxen

"Weniger Tierarztkosten"

Auf die Bedürfnisse der Kühe einzugehen, zahlt sich auch für die Landwirte aus: "Eine Kuh, die genug liegt, gibt pro Stunde einen Liter mehr Milch", weiss Manser, und Landwirt Schlauri stellt fest: "Seit dem Stallneubau fressen meine Kühe definitiv mehr. Die Tiere fühlen sich wohler." Auch die Tierarztkosten seien gesunken.

Das Wohlbefinden fördern oft schon kleine Veränderungen: "Bereits mit günstigen Details können Bauern ihren Kühen ein schöneres Leben bereiten", ist Christian Manser überzeugt. So rät er oft, einfach die Stallfenster zu entfernen oder den Boden mit rutschfesten Gummimatten auszulegen. "Als Kuhsignal-Trainer kann ich wirklich etwas für Tiere und Landwirte bewirken, das macht grosse Freude."

Manser kontrolliert die Futterqualität – perfekt!
Manser kontrolliert die Futterqualität – perfekt!

18'000 eigene Kühe

Zum Abschied frage ich Christian Manser, ob er eigentlich eigene Kühe habe. "Zirka 18'000", antwortet er und grinst. "Jede Kuh, deren Leben ich verbessern konnte, ist auch ein bisschen meine Kuh."

Tipps für Wanderer!

  • Christian Manser gibt am Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen auch Seminare – für Landwirte und Nicht-Landwirte, zum Beispiel Wanderer. Was rät ihnen der Experte im Umgang mit Kühen?

  • "Schenken Sie allen Kühen, denen Sie begegnen, Aufmerksamkeit. So bemerken Sie frühzeitig, falls etwas nicht stimmt."

  • "Füttern Sie Kühe nicht aus der Hand – andere Tiere könnten auch etwas abhaben wollen; es besteht die Gefahr, überrannt zu werden."

  • "Hören Sie auf Ihre Intuition: Wie Menschen zeigen Ihnen auch Kühe mit Mimik und Gestik, was Sache ist und warnen Sie rechtzeitig."

  • "Gehen Sie nicht zu nahe an Kühe mit Kälbern heran – sie wollen ihre Jungen verständlicherweise beschützen."

  • "Tritt Ihnen eine Kuh beim selbstbewussten Entgegengehen nicht aus dem Weg: Drehen Sie besser um."